Film

Eine deutsche Partei

Der Dokumentarfilmer Simon Brückner wirft einen ebenso unaufgeregten wie genauen Blick ins Innere der AfD, einer umstrittenen und mit internen Konflikten ringenden Partei.

Produktionsland und -jahr:
Deutschland 2022
Datum:
Verfügbar in
D / CH / A
Verfügbar bis:
bis 07.07.2024

Brückners exklusiver Zugang auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene ermöglicht Einblicke in die Hinterzimmer der Parteiorganisation. Aus der reinen Beobachtung, ohne eine Kommentierung aus dem Off, entwirft der Dokumentarfilmer ein eindrückliches Gesamtbild.

Im Stil des "Direct Cinema" zeigt er, wie Prozesse in der Partei ablaufen, deren radikale Flügelkandidaten gegen vermeintlich Moderate kämpfen. Die internen Spannungen werden bis hin zum Parteinachwuchs sichtbar, der mit der bestehenden staatlichen Ordnung der Bundesrepublik bereits gebrochen zu haben scheint. Auch die internationale Vernetzung der Partei mit einer Rechten, die sich global neu formiert und an Zulauf gewinnt, wird sichtbar.

Das mit soziologischem Gespür angelegte filmische Mosaik konfrontiert die Zuschauer mit einer Parallelwelt, die für viele Parteigänger, die teilweise aus der Mitte der Gesellschaft kamen, längst Normalität geworden ist. Durch Grauzonen hindurch, manchmal bedrückend alltäglich oder banal, öffnen sich Abgründe des Extremismus, der Feindseligkeit und Verachtung gegenüber vermeintlich Fremden und Andersdenkenden. In seinem Streben nach einer analytisch-neutralen Herangehensweise beginnt der Dokumentarfilm dort, wo die tagesaktuelle Berichterstattung endet. Ein Balanceakt im Spannungsfeld von Nähe und Distanz, der zum Weiterdenken und -streiten auffordert.

"Eine Deutsche Partei" ist das unbequeme Dokument einer historischen Bestandsaufnahme, eine Reise zu Menschen an der Grenze der Demokratie. Der Film, dessen Recherchen 2017 begonnen haben, wurde zwischen 2019 und 2021 gedreht. Die Filmaufnahmen fanden offen und mit Zustimmung der beteiligten Personen und Gremien statt. Die AfD hatte kein Mitspracherecht beim Schnitt des Films. "Eine deutsche Partei" ist Simon Brückners dritter langer Dokumentarfilm nach "Aus dem Abseits" und "Schöne blonde Augen".

Der Film wurde auf der Berlinale 2022 uraufgeführt.

Interview mit Simon Brückner

Simon, was war dein Antrieb, einen beobachtenden Dokumentarfilm über die AfD zu drehen?

Die Idee für den Film ist über einen längeren Zeitraum entstanden. Die AfD war ja mit knapp 13 Prozent bei ihrer ersten Bundestagswahl plötzlich sehr erfolgreich und läutete eine gesellschaftliche Polarisierung von rechts ein. Sie wurde als Partei dann schnell durch ihre radikalen Anteile bedrohlich - und für viele, mich eingeschlossen, auch abstoßend.

In dieser Situation spürte ich einen vielleicht typischen Zwiespalt: einerseits, nicht richtig hinsehen zu wollen, weil es ja nervt, sich damit zu befassen, aber andererseits die Befürchtung, dass wir einer Entwicklung entgegensehen, die sich verselbstständigen könnte. Einen Rechtsdrift, der nicht nur bereits Radikale, sondern auch viele Wähler der Mitte abholt. Aber will man alle AfD-Sympathisanten bereits für verloren erklären und alles öffentliche Sprechen auf Taktik reduzieren? Verstehen wir wirklich, was dort passiert? Die Situation zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der AfD schien mir schon 2017, zu Beginn meiner Recherchen, so verfahren, dass man auf der Ebene des Diskurses nicht mehr weiter zu kommen schien. Ausgrenzung als Reaktion auf den Extremismus in der Partei schien durchaus angemessen. Gleichzeitig war zu beobachten, wie die AfD Gefühle des Ausgeschlossenseins bei ihren Wählern ansprach und damit immer weiter mobilisierte. Irgendwann kristallisierte sich in mir die Absicht heraus, einen gänzlich unpopulistischen Film über Populisten zu drehen.

Ich glaube, der Impuls beobachten zu wollen entstand, um Distanz zu gewinnen, auch zu meinen eigenen, emotional-reflexhaften Reaktionen.

Wie hast du dich auf den Film vorbereitet, und wie entstand das künstlerische Konzept?

Die wichtigsten Aspekte meiner Herangehensweise waren, in Anlehnung an die Tradition des "Direct Cinema", nur zu beobachten, nicht einzugreifen, keine Interviews zu führen und den fertigen Film sprachlich nicht zu kommentieren. Außerdem habe ich früh entschieden, den meines Wissens  erstmaligen Versuch zu unternehmen, einen Film über eine ganze Partei zu drehen, in Form von ausschnitthaften Innenansichten. Also keinen Film über einzelne Politiker und ihre Geschichten, sondern über die Innenwelt, den gemeinsamen Kommunikationsraum dieser Partei. Dabei sollte, durch bestimmte ästhetische und dramaturgische Verfahren nicht nur Nähe, sondern auch Distanz ermöglicht werden. Der Film drückt uns nicht in eine Identifikation mit den Protagonisten. Deshalb haben wir uns mit klassischem Storytelling zurückgehalten und "Eine deutsche Partei" sehr brüchig, vielleicht auch etwas spröde angelegt.

Zur Arbeitsweise: Um ein möglichst normaler Teil der Vorgänge zu werden, habe ich selbst die Kamera geführt und manchmal ganz alleine oder nur mit einer Tonperson gearbeitet. Ich habe eine leichte Vollformatkamera genutzt, die ich manchmal stundenlang auf der Schulter hatte. Dadurch, dass ich meinen visuellen Standpunkt - bei den Besprechungen saß ich oft mit am Tisch - selten wechselte und mit festen Brennweiten arbeitete, konnte hinterher in der Montage ein konsistenter filmischer Raum erzeugt werden, der nicht abstrakt ist, sondern dem Publikum das Gefühl gibt, selbst körperlich in einem realen Szenario anwesend zu sein.

Wie hast du es geschafft, Zugang zu einer Partei zu erhalten, die den etablierten Medien gegenüber feindselig ist?

Ich kannte jemanden, der in die Partei eingetreten war und mich bei einem Berliner Bezirksverbandstreffen vorstellte. Ich habe gesagt: "Ich bin nicht euer Wähler oder Anhänger, aber ich möchte eine möglichst realistische und differenzierte Darstellung machen." Daraufhin gab es dann von der anderen Seite eine erste Offenheit. Mein Ansatz der reinen Beobachtung war hilfreich, denn das Gefühl der AfDler, immer böswillig falsch dargestellt zu werden, war nicht bloß taktische Pose, sondern psychologische Realität. Bei jenem ersten Treffen sagte jemand: "Wenn Sie den Film so machen, wie Sie das gesagt haben, könnte das ein richtig guter Film werden. Und gut bedeutet nicht zwangsläufig gut für uns." Das wäre im Grunde der Optimalfall, dass die AfDler sich auch fragen: "Wer sind wir eigentlich als Partei?" War natürlich nicht immer so. Es gab auch viel Taktik, die wir unterlaufen mussten.

Es gab für das Projekt ein paar Grundregeln, die beide Seiten akzeptierten. Ich habe immer klar gemacht, dass niemand aus der AfD ein Mitspracherecht beim Schnitt haben wird. Entsprechen konnte ich dem Wunsch der Partei, den Film nicht vor der Bundestagswahl zu veröffentlichen, weil ich zu diesem Zeitpunkt eh noch drehen wollte. Zu Beginn eines Drehtages mussten sich die Gremien einverstanden erklären. Wenn zu viele Leute dagegen waren, zog ich wieder ab. Ich habe stets deutlich gemacht, dass ich nur komplette Arbeitsstrecken im Prozess begleiten will und keine Ergebnispräsentationen abfilme. Am Ende eines jeden ersten Drehtages habe ich Neulingen die Gelegenheit gegeben, einen Komplettrückzieher zu machen. Danach galt: gedreht ist gedreht.

Warum hast du dich gegen einen Kommentar im Film entschieden? Liegt darin nicht auch die Gefahr, gewisse Situationen nicht einordnen zu können?

Ohne sprachlichen Kommentar schauen wir anders. Wir erspüren mehr die Eigenlogiken der gezeigten Phänomene und ergreifen die Chance, sie außerhalb unserer festgefügten Kategorien wahrzunehmen. Bei einem Thema wie der AfD, wo Menschen- und Weltbilder kollidieren, beinhaltet das sprachliche Kommentieren ein Spezialproblem, weil alle zur Verfügung stehenden Begriffe immer schon für die ein oder andere Seite Kampfbegriffe darstellen. Wir wollten etwas sehr Komplexes mit filmischen Mitteln erfahrbar machen, was man sonst nicht sehen kann: die Innenwelten und den Kommunikationsraum dieser Partei.

Ich denke, dass wir dem Kinopublikum die eigene Auseinandersetzung zugestehen müssen. Wir haben das Material so aufbereitet, dass entscheidende Zusammenhänge sichtbar werden und wichtige Aspekte unübersehbar hervortreten. Gerade ohne sprachliche Kommentierung, die ja auch verengend wirkt und so oft eigene Assoziationen, Fragen und Ideen abwürgt, entsteht im direkten Erleben der filmischen Situation eine große Eindrücklichkeit. Immer bleibt dabei ein Interpretationsspielraum. Das auf der Leinwand Gesehene mit eigenen Erfahrungen und Gedanken in Beziehung setzen zu können, ist doch das Privileg von künstlerischem Kino, wie von Kunst überhaupt.

Unser Film zwingt in seiner offen beschreibenden Grundhaltung dazu, selbst aktiv zu werden, sich diesem Stoff zumindest aus- und eben auch mit ihm auseinanderzusetzen. Natürlich gehen wir von der Fähigkeit des Publikums zur kritischen Reflexion aus. Damit stehen wir in der Tradition eines künstlerischen Dokumentarfilms, der politisch ist ohne aktivistisch zu sein. Er ermöglicht außeralltägliche Wahrnehmung gesellschaftlich relevanter Vorgänge, er erlaubt sich Komplexität, Ambivalenzen und erodiert damit Klischees.

Unterm Strich erzählt unser filmisches Mosaik natürlich eine Geschichte: Der Hauptprotagonist, also die Partei, bewegt sich wie von Geisterhand unaufhaltsam nach rechts, selbst wenn nicht immer alle damit einverstanden sind. So legt der Film einen zentralen Gedanken nahe: dass die sogenannten Moderaten die eigentlich gefährlichen Kräfte sind, da sie im Gegensatz zu den ohnehin ausgegrenzten Rechtsextremen breite gesellschaftliche Allianzen schmieden.

Es gibt viele gute, mediale Darstellungen des Themas, die sprachlichen Kommentar benötigen. Unser Film ist keine journalistische Einführung oder gar Gesamtdarstellung. Er liefert einen ergänzenden Ansatz für Leute, die sich vertieft auseinandersetzen möchten.

Wie hast du die Protagonisten ausgewählt?

Die Parteiprominenz wollte ich nicht ins Zentrum stellen. Die sind medial schon sehr besetzt, und es ist schwer sie neu zu sehen. Außerdem waren die weniger offen, vielleicht auch weniger mutig und zeitlich eh so eingebunden, dass nur ein häppchenweises Drehen möglich gewesen wäre, so wie bei einem "embedded journalist", der jetzt auch mal mit darf.

Klar war, dass ich weniger einzelnen Figuren folgen, sondern mit Gruppen und Netzwerken arbeiten wollte - denn das ist der Raum das Politischen. Dabei habe ich versucht, unterschiedlichste Parteimilieus auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene einzubinden, auf Parlaments- und Verbandsebene, von der Basis bis ins Establishment. Das hat extrem lange gedauert und erschien mir manchmal fast nicht machbar. Eine Herausforderung war auch, dass Leute, mit denen ich schon gedreht hatte, mit anderen teilweise extrem verfeindet waren. Da war eine gewisse Diplomatie und ein Gespür vonnöten, um entscheiden zu können, ab wann ich mit wem gesehen werden darf.

Wie stehst du zu der Haltung, man solle nicht über die AfD berichten, um ihr keine Bühne zu bieten?

Ein Journalist sagte neulich zu mir: Sie haben denen eine Bühne gebaut, auf der sie sich prima selbst zerlegen.

Aber im Ernst: Die AfD ist keine Zwei-Prozent-Partei, sie ist in allen Landtagen und im Bundestag vertreten. Sie ist somit Teil unserer politischen Wirklichkeit und steht bereits auf den Bühnen. Ich wollte dahinter schauen, zeigen, wie sie das macht und vor allem, was in ihren Rückzugsräumen geschieht. Die AfD verschwindet nicht, wenn wir die Augen schließen, und sie ist auch nicht auf meine Aufmerksamkeit angewiesen. Film und Fernsehen sind heute nicht mehr die großen Gatekeeper. Die AfD hat ihre eigenen Kanäle, auf denen sie alle Interessenten bruchlos beschallen kann.

Trotzdem sehe ich ein Problem mit unserer Medienlandschaft. In immer kürzeren Aufmerksamkeitszirkeln wird das belohnt, was laut, aggressiv, empört daher kommt. Und dazu gehören die Angebote der AfD. Der beobachtende Dokumentarfilm ist dagegen ein langsames, leiseres Medium, das Innehalten und genaues Hinschauen fördert. Er widersetzt sich der Polarisierungslogik, die ja erstmal im Interesse der Populisten liegt.

Interview: Susanne Bauer, Spicefilm

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