Mit allen Mitteln – neue Dimension im Ukraine-Krieg?

Fakten-Box | 8. Juni 2023

• Staudamm-Bruch

  

  In dem seit mehr als 15 Monaten andauernden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist der Zusammenbruch des Kachowka-Staudamms eine weitere Katastrophe. Nach der Zerstörung des angrenzenden Wasserkraftwerks sind noch viele Fragen offen.
  
  Der Kachowka-Staudamm und das Wasserkraftwerk liegen in der Stadt Nowa Kachowka im von Russland besetzten Teil der ukrainischen Region Cherson. Die gleichnamige Gebietshauptstadt ist aber unter ukrainischer Kontrolle, Städte südlich des Dnipro wie Nowa Kachowka sind hingegen in russischer Hand. Der Fluss, der in dieser Gegend etwa die Frontlinie darstellt, wurde in Nowa Kachowka zum letzten Mal vor dem Schwarzen Meer auf 200 Kilometer Länge gestaut.
  
  Der Staudamm war in der Nacht zum Dienstag gebrochen.Moskau und Kiew werfen sich gegenseitig vor, den Staudamm zerstört zu haben. Während die Ukraine Russland „Staatsterrorismus“ vorwirft und Präsident Wolodymyr Selenskyj die Tat als „Massenvernichtungs-Umweltbombe“ bezeichnet, beschuldigt Moskau ukrainische Truppen des Beschusses und einer vorsätzlichen Sabotage. Beide Seiten haben bisher keine Beweise für ihre Anschuldigungen vorgelegt.
  
  Auch der Westen macht Russland für die Tat verantwortlich. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wirft Moskau vor, immer stärker zivile Ziele anzugreifen, und hat die Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine als „neue Dimension“ in dem Krieg bezeichnet. Für Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeige die Tat „einmal mehr die Brutalität von Russlands Krieg in der Ukraine“. Der britische Außenminister James Cleverly spricht von einem „Kriegsverbrechen“.
  
  Die USA und Großbritannien äußerten sich jedoch zurückhaltend zu den Ursachen des Dammbruchs. In Washington sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, seine Regierung könne die Lage noch nicht abschließend bewerten. Auch der britische Premierminister Rishi Sunak sagte vor seiner Abreise zu einem Treffen mit US-Präsident Joe Biden, es sei noch „zu früh“, um ein „endgültiges Urteil“ abzugeben.
  
  Spekuliert wird, dass der Vorfall ein russischer Sabotageakt sein könnte, um eine ukrainische Gegenoffensive auszubremsen. Moskau streitet das ab. Die Überschwemmungen betreffen besonders die von Russland besetzte Region südlich des Dnipro, die als ein Hauptziel eines möglichen Vormarsches gilt.
  
  Experten halten es auch für möglich, dass der von Russland seit langem kontrollierte Staudamm schlecht gewartet und unter dem Druck der Wassermassen zerstört wurde.
  
  Noch unklar ist, wie sehr die Überschwemmungen das Gebiet verwüsten. Die EU sprach von Hunderttausenden Zivilisten, deren Leben gefährdet sei. Informationen über Opferzahlen gibt es zunächst nicht. Nach Angaben des ukrainischen Katastrophenschutzes wurden bislang knapp 2.000 Menschen aus den überfluteten Gebieten in Sicherheit gebracht, darunter mehr als 100 Kinder.
  
  Auf der von der Ukraine kontrollierten Seite des Flusses wurden demnach insgesamt 20 Ortschaften überflutet. Die Fluten haben zudem Teile der Regionalhauptstadt Cherson überschwemmt. Schon jetzt weiß man, dass Zehntausende von Menschen kein Trinkwasser mehr haben, die Ernten ruiniert und die Weichen für einen langfristigen Strommangel gestellt sind.
  
  Die ukrainischen Behörden sorgten sich auch um die Sicherheit des Atomkraftwerks Saporischschja, das am nördlichen Ende des Stausees liegt. Wegen fallenden Pegelstands wird mit Hochdruck daran gearbeitet, die Kühlwasserreserven aufzufüllen. Wenn die Auffangbecken auf dem Gelände des AKW voll seien, reiche das Wasser zur Kühlung der sechs Reaktoren für mehrere Monate, teilte der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, am Mittwochabend mit. Zwar seien die Reaktoren abgeschaltet, aber sie brauchten trotzdem Kühlwasser.
  
  Die Zerstörung des Staudamms hat nach Angaben des Präsidenten Selenskyj keine Auswirkungen auf die Gegenoffensive seines Landes zum Zurückdrängen der russischen Armee. „Die Explosion des Damms hat nicht die Fähigkeit der Ukraine beeinträchtigt, seine eigenen Gebiete von der Besatzung zu befreien“, versicherte der Staatschef am Dienstag im Onlinedienst Telegram.
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: dpa

• Gegenoffensive

  

  Seit Monaten spricht Kiew davon, eine Gegenoffensive zu starten, um von Russland besetztes Gebiet wieder unter ukrainische Kontrolle zu bringen. Aktuell hält Russland rund 20 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets besetzt, darunter die im Süden und Südosten gelegenen ukrainischen Gebiete Saporischschja, Cherson, Donezk und Luhansk.
  
  Im vergangenen Herbst gelang der ukrainischen Armee dann die Befreiung eines Teils der Region Cherson – auch der gleichnamigen Gebietshauptstadt. Städte südlich des Flusses Dnipro blieben allerdings unter russischer Kontrolle. Die russischen Truppen aus den besetzten Gebieten zu vertreiben, ist eine militärische Herausforderung, denn Russland hat ausgedehnte Verteidigungslinien errichtet mit Schützengräben, Minenfeldern und Panzersperren. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betonte aber, sein Land sei für die Befreiung der besetzen Gebiete bereit.
  
  Gefechte gibt es sowohl im Süden der Ukraine als auch in der Region um Bachmut. Allerdings ließ die ukrainische Regierung offen, ob sie vorläufige, begrenzte Attacken zur Schwächung der russischen Truppen und Militäranlagen plant oder großangelegte, gleichzeitig ausgeführte Angriffe entlang der gesamten 1100 Kilometer langen Frontlinie.
  
  Saporischschja
  Aus der südostukrainischen Region Saporischschja meldete der von Russland eingesetzte Beamte Wladimir Rogow verstärkte ukrainische Angriffe. Bereits am Sonntag hätten ukrainische Soldaten versucht, sich gegen die russischen Truppen durchzusetzen. Sie seien aber zurückgedrängt worden, nachdem sie auf von Russland besetztes Gebiet vorgedrungen seien. Rogow sagt, die Schlacht sei ein Versuch der Ukrainer, um zum Asowschen Meer vorzustoßen und damit die Landverbindung von Russland zur Krim abzuschneiden. Analysten halten dies für ein wahrscheinliches Vorgehen der ukrainischen Streitkräfte, weil ein Erfolg die russischen Truppen auf der Krim und in anderen südukrainischen Gebieten wohl in Nachschubschwierigkeiten stürzen würde. Allerdings ist offen, wo die Ukraine an der langen Frontlinie den Hauptschlag ausführen wird.
  
  Donezk
  Laut russischem Verteidigungsministerium sei am Wochenende auch in der Region Donezk ein ukrainischer Großangriff zurückgeschlagen worden. Die Ukraine habe an fünf Punkten in der ostukrainischen Gegend versucht, die russischen Verteidigungsanlagen zu durchbrechen. Das Ministerium veröffentlichte ein Video, das die mutmaßliche Zerstörung von Kriegsgerät auf dem Schlachtfeld zeigen soll. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden.
  
  Kiew bestätigte die Berichte zunächst nicht und warnte vor einer Falschinformationskampagne Russlands. Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar räumte aber ein, dass die Ukrainer in manchen Gebieten zum Angriff übergegangen seien.
  
  Bachmut
  Das ukrainische Militär hat nach eigenen Angaben bei der kürzlich von Russland eroberten Stadt Bachmut wieder Gegenangriffe gestartet. „In Richtung Bachmut sind unsere Truppen von der Verteidigung in die Offensive übergegangen“, schrieb Hanna Maljar am Mittwoch auf Telegram. Das russische Verteidigungsministerium bestätigte zwar insgesamt acht ukrainische Angriffsversuche bei Bachmut, erklärte aber, alle abgewehrt zu haben.
  
  Hybrider Krieg
  
  Eine wesentliche Säule sind Propaganda- und Desinformationskampagnen in Medien und sozialen Netzwerken. Erst am vergangenen Sonntag hackte sich die Ukraine in einige TV-Sendungen auf der von Russland annektierten Krim ein, um eine ukrainische Militärerklärung über die Gegenoffensive auszustrahlen. Am Montag wurden Sendungen in mehreren russischen Regionen gehackt, um eine gefälschte Ansprache von Präsident Wladimir Putin zu übertragen – mit dem Ziel, die Moral zu untergraben. Eine Stimme, die seiner ähnelt, verkündete den Ausnahmezustand, eine landesweite Mobilmachung und eine massive Evakuierung in drei Grenzregionen.
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: ZDF

• Angriffe auf russisches Territorium

  

  In der Grenzregion um den russischen Ort Belgorod sind offenbar erneut Kämpfe zwischen der Armee und an der Seite der Ukrainer kämpfenden Freiwilligenverbänden aufgeflammt. Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow bestätigte Gefechte in der Ortschaft Nowaja Tawolschanka. Fliehende Bürger hätten sich bei ihm darüber beklagt, dass der russische Staat zwar Krieg in der Ukraine führe, aber nicht das eigene Staatsgebiet vor Angriffen schütze.
  
  Belgorod wird seit Tagen von ukrainischer Seite mit Artillerie beschossen, teils stießen „Saboteure und Terroristen“, wie sie in Moskau genannt werden, auf russisches Gebiet vor. Mehrere Menschen starben, viele wurden verletzt, ganze Ortschaften wurden evakuiert.
  
  Am 30. Mai wurde mit einem Drohnenangriff Moskau ins Visier genommen. Nach russischen Angaben hatten drei Drohnen Wohngebäude in der Hauptstadt getroffen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, durch den Angriff habe es keine Todesopfer gegeben. Russland machte die Ukraine für die Angriffe verantwortlich, der russische Präsident Wladimir Putin sagte, die Ukraine wolle die Russen „verängstigen“. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak erklärte dagegen, Kiew habe „keine direkte Verbindung“ zu dem Angriff. Zwar entstanden nur geringe Schäden, aber es offenbarten sich eklatante Lücken in der Luftverteidigung der russischen Hauptstadt.
  
  Militäranalysten beschreiben die Attacken als „formende Operationen“: Eine Serie von Schritten, die darauf abzielen, die russischen Verteidigungsfähigkeiten zu testen, Moskau zu zwingen, sich militärisch zu verzetteln und von den umkämpften Gebieten Aufmerksamkeit wegzulenken, auf die sich die ukrainische Gegenoffensive konzentrieren könnte. Christian Mölling, Sicherheitsexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sagte dem Magazin Stern: „Die Angriffe sind zumindest ein Erfolg auf der Informationsebene. Sie vermitteln: Wir können kommen und gehen, wie wir wollen, und ihr kriegt uns nicht.“
  
  Nach der Drohnenattacke auf Moskau haben sich die USA gegen Angriffe auf russisches Territorium ausgesprochen. „Grundsätzlich unterstützen wir keine Angriffe im Inneren Russlands“, sagte ein Sprecher von US-Außenminister Antony Blinken am Dienstag. „Wir konzentrieren uns darauf, der Ukraine die Ausrüstung und das Training zur Verfügung zu stellen, die sie braucht, um ihr eigenes souveränes Territorium zurückzuerobern.“
  
  Mölling sagt, es sei durchaus legitim, militärische Ziele anzugreifen – auch in Russland. Für viele Menschen aber, zum Beispiel in Deutschland oder in den USA, sei ein Angriff auf Moskau die rote Linie. „Dahinter steckt immer noch eine Eskalationsangst.“
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: epa

• Prigoschin und seine Wagner-Gruppe

  

  In der Ukraine kämpfen neben der russischen Armee auch Söldner der Wagner-Gruppe. Wie viele Söldner im Einsatz sind, ist nicht genau bekannt. Die US-Regierung schätzt ihre Zahl auf 50.000. Auffällig ist, dass ihr Gründer und Chef, Jewgeni Prigoschin, zunehmend Präsenz zeigt. Und das, obwohl er erst im September erstmals öffentlich einräumte, mit der Wagner-Gruppe überhaupt etwas zu tun zu haben.
  
  Prigoschin, 62, ist ein reicher russischer Geschäftsmann. Er besitzt ein riesiges Catering-Unternehmen, das staatliche Einrichtungen versorgt, sowie Trollfabriken und Medien. Seinen Telegram-Kanal nutzt er immer öfter für heftige Kritik an der russischen Militärführung, vor allem am Verteidigungsminister. Am Ende der „Befehlskette“ zielt seine Kritik auch auf Kreml-Chef Wladimir Putin selbst. Anfang Mai wütete Prigoschin in einem Video: „Wie soll man den Krieg gewinnen, wenn sich herausstellt, dass dieser Opa ein völliger Idiot ist?“ Der Kreml gab dazu keinen Kommentar.
  
  Jüngst äußerte Prigoschin öffentlich Zweifel an militärischen Erfolgen der russischen Truppen. Moskau hatte behauptet, bei der Abwehr einer ukrainischen Gegenoffensive insgesamt „1.500 Soldaten“ getötet zu haben. Prigoschin hält das für unglaubwürdig, das seien „wilde Fantasien“.
  
  Anfang dieser Woche hatte der Wagner-Chef erklärt, ukrainische Truppen seien in der Nähe der lange umkämpften und mittlerweile zerstörten StadtBachmut vorgerückt und hätten Gebiete zurückerobert.Den russischen Soldaten warf er vor, „die Flucht“ ergriffen zu haben. Das sei eine „Schande“, sagte Prigoschin, dessen Söldner um Bachmut gekämpft hatten und dabei nach seinen Angaben hohe Verluste erlitten.
  
  
  Ursprünglich bestand die Wagner-Truppe aus Veteranen der russischen Streitkräfte. Die russische Regierung hatte Prigoschin erlaubt, Strafgefangene zu rekrutieren – Straffreiheit gegen Kriegseinsatz. „Ich habe 50.000 Häftlinge ausgesucht, von denen etwa 20 Prozent getötet wurden“, sagte der Wagner-Chef in einem von einem regierungstreuen Blogger veröffentlichten Interview. Unter den professionellen Wagner-Söldnern sei die Todesrate ähnlich hoch. „Es gibt jetzt zehntausende von Angehörigen getöteter Kämpfer. Es werden wahrscheinlich hunderttausende werden“, sagte Prigoschin.
  
  Der Oligarch, der wie Putin aus Sankt Petersburg stammt, kritisiert seit Monaten den Zustand der russischen Armee und wirft dem Verteidigungsministerium in Moskau mangelnde Unterstützung vor. Eine russische Einheit soll Kämpfer der Wagner-Gruppe bei Minenräumungsaktionen beschossen haben, berichtet Prigroschin. Die Minen in der Nähe von Wagner-Stellungen waren seinen Angaben zufolge ebenfalls von russischen Soldaten gelegt worden.
  
  Das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) wertet Prigoschins Vorwürfe als möglichen Versuch des 62-Jährigen, durch den Streit mit dem Verteidigungsministerium von kürzlich aufgekommenen Spannungen zwischen seiner Truppe und Kämpfern von Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow abzulenken. Mehr als 15 Monate nach dem Einmarsch in die Ukraine würden Machtkämpfe in Russlands Militärführung toben, die immer deutlicher zutage treten.
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: Imago

• Militärübung "Air Defender"
  

  

  Am kommenden Montag (12. Juni) beginnt unter Führung Deutschlands die größte Verlege-Übung großer Luftstreitkräfte seit Gründung der NATO. Für das Manöver „Air Defender“ stellen 25 der 31 Mitgliedstaaten der Allianz insgesamt 250 Flugzeuge, wie der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, am Mittwoch in Berlin mitteilte.
  
  „Wir sind ein defensives Bündnis, und so ist auch diese Übung defensiv ausgelegt“, betonte Gerhartz und fügte mit Blick auf Russland hinzu: „Diese Übung ist gegen niemanden gerichtet.“ „Air Defender“ wird bis zum 23. Juni laufen.
  
  An der Übung nehmen rund 10.000 Soldatinnen und Soldaten teil, es sind insgesamt 2.000 Flüge geplant, vor allem im deutschen Luftraum, aber auch in den Niederlanden und Tschechien. Gerhartz betonte, der Luftraum der NATO werde nicht verlassen.
  
  Die Planungen für „Air Defender“ begannen laut Gerhartz bereits im Jahr 2018. Man habe damals unter dem Eindruck der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland gestanden, und es sei klar gewesen, dass sich die NATO wieder mehr auf Landes- und Bündnisverteidigung konzentrieren müsse.
  
  Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erklärte: „Mit der Übung stärken wir das Bündnis und die transatlantischen Beziehungen. Gemeinsam mit unseren Verbündeten zeigen wir, dass wir das Bündnisgebiet reaktionsschnell und schlagkräftig verteidigen können.“
  
  Luftstreitkräfte können durch ihre Reichweite und Geschwindigkeit in einer Krise schnell im Einsatz sein. Insbesondere die Verlegung aus den USA über den Atlantik mit etwa 100 Flugzeugen zeigt hier, wie Verstärkung herangeführt wird.
  
  „Geübt werden Szenarien wie zum Beispiel die Bekämpfung von Drohnen oder Marschflugkörpern. Und auch die Verteidigung von Flughäfen wie auch Seehäfen“, sagte ein Sprecher der Luftwaffe der Deutschen Presse-Agentur. Trainiert wird, wie ein fiktiver Angriff eines östlichen Angreifers (bezeichnet als OCCASUS) auf das Bündnisgebiet – hier auf Deutschland – von den NATO-Verbündeten gemeinsam zurückgeschlagen wird.
  
  Folgendes Szenario haben sich die Militärs ausgedacht: „Spezialkräfte der Organisation Brückner und andere Truppen von OCCASUS konnten von Osten nach Deutschland eingeschleust werden. Nun halten Luft- und Bodenkräfte die gesamte Region Klebius besetzt, etwa ein Viertel des Landes.“ Die OCCASUS-Allianz versuche nach Norden zur Ostsee vorzustoßen und den Rostocker Hafen in Besitz zu nehmen. Dabei nutze sie eine Mischung aus Sabotageaktionen und den Einsatz von Spezialkräften, die aus der Luft unterstützt werden. Die fiktive Folge: Das westliche Bündnis löst den Verteidigungsfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrages aus.
  
  
  Die US-Botschafterin in Deutschland, Amy Gutmann, erklärte auf einer Pressekonferenz am Mittwoch: „Es würde mich sehr wundern, wenn irgendein Staatsoberhaupt der Welt nicht zur Kenntnis nehmen würde, was dieses Manöver in Bezug auf den Geist dieses Bündnisses, das heißt die Stärke dieses Bündnisses, zeigt. Und das schließt Herrn Putin ein.“
  
  Kritik an dem Manöver kommt aus der Opposition. „Ich bezweifele, dass die NATO mit dieser Machtdemonstration der Superlative sonderlich Eindruck bei der russischen Führung schinden wird“, erklärte der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Gregor Gysi. „Auch das Vorgänger-Manöver der NATO [„Defender Europe 21“] hat Putin nicht davon abgehalten, einige Monate später die Ukraine zu überfallen.“
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: dpa

• Auswirkungen auf zivilen Flugverkehr

  

  Während der knapp zweiwöchigen Operation sollen jeweils von Montag bis Freitag drei Lufträume zeitversetzt für die zivile Luftfahrt gesperrt werden. Der Bund hat an die Länder appelliert, Betriebszeiten an Flughäfen während der Übung zu flexibilisieren. Das zielt vor allem auf Nachtflugverbote. Störungen für den zivilen Luftverkehr könnten deutlich gemildert werden, wenn Anträge von Fluggesellschaften auf Starts und Landungen außerhalb der normalen Betriebszeiten der Flugplätze von den zuständigen Behörden genehmigt würden, wenn die Voraussetzungen vorliegen, hieß es in einem Brief von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).
  
  Bislang hat Baden-Württemberg Ausnahmen für Stuttgart bis 02.00 Uhr zugelassen. Auch für Hamburg und Düsseldorf zeichnen sich längere Betriebszeiten ab. Am Frankfurter Flughafen im schwarz-grün regierten Hessen werden Spätstarts bis 24.00 Uhr genehmigt, wenn der Verspätungsgrund durch das Manöver bedingt ist. Größere Flughäfen ohne Nachtflugverbot gibt es nur in Köln, Leipzig und Nürnberg.
  
  Die Übungsflüge sollen in drei eng definierten Lufträumen stattfinden, die wochentags jeweils im Wechsel genutzt werden. Dabei soll ein Übungsraum Ost über Mecklenburg-Vorpommern und der Ostsee jeweils von 10.00 bis 14.00 Uhr als einziger auch für Tiefflüge reserviert sein.
  
  Der Raum Süd erstreckt sich von Lechfeld in Bayern nach Rheinland-Pfalz und soll von 13.00 bis 17.00 Uhr genutzt werden, bevor an den Raum Nord über der Nordsee von 16.00 bis 20.00 Uhr abgegeben wird. Passagiere ziviler Flüge können also vor allem in den frühen Morgenstunden sowie am Wochenende auf pünktliche Starts und Landungen hoffen.
  
  Simulationen der Organisation Eurocontrol sollen aber ergeben haben, dass für die Dauer der Großübung mit Gesamtverspätungen von täglich bis zu 50.000 Minuten gerechnet werden kann, allerdings müssen dann weitere Faktoren wie heftige Gewitter dazukommen.
  
  Über die Beeinträchtigungen des zivilen Flugverkehrs gibt es unterschiedliche Einschätzungen. „Das wird sich maximal im Minutenbereich bewegen“, sagte der Inspekteur der Deutschen Luftwaffe, Ingo Gerhartz, zu möglichen Verspätungen von Flügen. Außerdem betonte er, dass die Übung vor den Schulferien und damit vor der großen Urlaubsreisewelle stattfindet.
  
  Die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) hatte zuvor eine andere Prognose aufgestellt: „Die Militärübung „Air Defender“ wird natürlichmassive Auswirkungen auf den Ablauf der zivilen Luftfahrt haben“, sagte ihr Vorsitzender Matthias Maas der Deutschen Presse-Agentur. Die Gewerkschaft verwies auf zahlreiche zu erwartende Folgeprobleme, wenn Flugzeuge wegen des Nachtflugverbots ihre Ziele nicht erreichen und dann am nächsten Tag nicht pünktlich zur Verfügung stehen würden.
  
  Luftwaffenoffizier Gerhartz warb um Verständnis für die militärische Bedeutung, die solche Übungen für die Luftstreitkräfte hätten: „Sicherheit gibt es eben nicht zum Nulltarif“, sagte er zu den damit verbundenen Beeinträchtigungen und zu den Kosten. Genau beziffern konnte er allerdings noch nicht, wieviel Steuergeld dafür investiert wird.
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: dpa